Öffentlicher Diskussionsabend "Freimaurerei und Geschlecht"

Gestern Abend behandelte der Impulsvortrag unseres Redners das Thema Freimaurerei und Geschlecht, wobei der Kern des Vortrages nicht unbedingt das behandelte, was Freimaurer vermuten würden. Es ging nämlich nicht um die Frage, ob Frauen Freimaurer werden können/dürfen/sollen/müssen oder ob gemischte Loge Sinn machen oder andere Fragen, die einem Freimaurer da zumeist in den Sinn kommen. Es ging vielmehr um denn Mann und die Frau als Geschlecht an sich. Aber lesen Sie selbst:

 

Ein freier Mann von gutem Ruf soll ein Freimaurer sein. Über die Definitionen „guter Ruf“ und „frei“ kann man viel streiten, lässt es doch recht viel Raum für Interpretation. Bei dem Wort „Mann“ sieht das schon wieder anders aus. Die Freimaurerei geht mit dem Thema Geschlecht relativ wenig um, außer, dass Frauen aus deutschen Logen in der Regel ausgeschlossen werden, genau so, wie Männern eben auch der Eintritt in eine Frauenloge verwehrt bleibt.  Diese Regelung wird zwar in der Freimauerei auch unterschiedlich bewertet, doch herrscht eine scheinbar grenzenlose Einigkeit über das, was ein Mann und eine Frau ist. Eine Frau ist kein Mann und ein Mann keine Frau - ganz einfach. Oder doch nicht?  Keine Sorge! Ich möchte heute nicht darüber diskutieren, ob Frauen auch Freimaurer werden dürfen oder ob sogar gemischte Logen Sinn machen können. Dieses Thema ist einfach zu unerschöpflich, die Regularien der Großlogen sind da sehr eindeutig und auch die Meinungen innerhalb der Bruderschaft gehen da viel zu weit auseinander.  Heute Abend möchte ich mich vielmehr der Frage widmen, was denn „ein Mann“ eigentlich sein soll? Ist der Begriff bei näherer Betrachtung tatsächlich so eindeutig, wie er den Anschein macht? Und wenn er es nicht ist, was bedeutet das für uns als Freimaurer?   Schlägt man das Wort „Mann“ bei Wikipedia nach, scheint die Welt erst noch in Ordnung: „Mann bezeichnet einen erwachsenen Menschen männlichen Geschlechts."   Liest man dann ein wenig weiter begegnen einem viele Klammern, die diese Ordnung dann wieder etwas relativieren: „Aus molekularbiologischer Sicht unterscheidet sich der Mann von der Frau durch das Chromosomenpaar XY (siehe jedoch auch XX-Mann) in den Geschlechtschromosomen (statt XX bei der Frau, siehe aber auch XY-Frau)."   Auf den ersten Blick ist also die An- oder Abwesenheit des Y-Chromosoms ausschlaggebend: mit Y heißt männlich, ohne heißt weiblich. Aber Medizinern ist schon lange bewusst, dass bei so manchem die Grenzen verschwimmen, wenn die Geschlechtschromosomen das eine sagen und Geschlechtsmerkmale wie die Keimdrüsen (Eierstöcke und Hoden) etwas anderes. Eltern von Kindern mit Besonderheiten und Störungen der Geschlechtsentwicklung, auch DSD für "disorders of sexual development", Intersexualität oder Sexualdifferenzierungsstörungen genannt, sehen sich oft der schwierigen Entscheidung gegenüber, ob sie ihr Kind als Junge oder als Mädchen aufziehen sollen. Laut Spezialisten hat sogar jeder Tausendste eine Form von DSD.  Betrachtet man die Genetik, verschwimmt die Grenze zwischen den Geschlechtern noch mehr. Wissenschaftler haben viele der Gene identifiziert, die an den Hauptformen von DSD beteiligt sind und auf subtile Weise die Anatomie und Physiologie des Einzelnen beeinflussen. Neue Techniken der DNA-Sequenzierung und Zellbiologie machten deutlich, dass fast jeder von uns zu einem gewissen Grad aus verschiedenen Zellen besteht, gleichsam wie ein Patchwork. Dabei haben manche unserer Zellen ein Geschlecht, das zum Rest des Körpers eigentlich nicht passt. Auch das Verhalten einer Zelle scheint über komplexe molekulare Systeme von seinem Geschlecht beeinflusst zu werden.  Diese biologische Komponente, wenn also der Mensch biologisch zwischen den zwei „klassischen“ Geschlechtern steht, bezeichnet man als Intersexualität. In Deutschland leben heute etwa 80.000 Intersexuelle Menschen.  Doch nicht nur intersexuelle Menschen können Schwierigkeiten mit einer eindeutigen Geschlechtlichkeit haben. Auch kann es manchen Menschen schwer fallen, sich eindeutig als Mann oder Frau zu fühlen. Dies wird wiederum als Transsexualität bezeichnet.   Transsexuelle haben das sichere Gefühl, im falschen Körper gefangen zu sein. Sie sehnen sich nach einem Leben im anderen Geschlecht und versuchen, sich auch äußerlich diesem so weit wie möglich anzugleichen. Das hat nichts mit der Lust an Verkleidung zu tun. Ebenso wenig heißt das, dass sie lesbisch oder schwul sind. Transsexuelle scheinen zwar nach biologischen Kriterien Mann oder Frau zu sein - ihr Erbgut und ihre Hormone sind eindeutig. So einfach ist es aber nicht: Tatsächlich stimmt ihr Geschlecht nicht mit diesen sicht- und messbaren Geschlechtsmerkmalen überein.  Diese innere Gewissheit ist dauerhaft. Dabei erweckt der Begriff Transsexualität den Anschein, es handele sich um ein sexuelles Problem. Das ist falsch. Es geht den Betroffenen nicht um Sex, sondern um Identität. Deshalb bezeichnen sie sich selbst lieber als "Transidente". In den aktuellen Klassifikationssystemen für psychische Krankheiten - etwa dem DSM-IV - wird der Begriff Transsexualität ebenfalls nicht mehr verwendet. Stattdessen ist dort die Bezeichnung Geschlechtsdysphorie zu finden, ein Begriff, der das emotionale Leiden an der fehlenden Übereinstimmung zwischen Körper und Psyche beschreibt. Transsexuelles Erleben und Verhalten als psychische Erkrankungen zu sehen, gilt mittlerweile ebenfalls als überholt.  Sicher ließe sich argumentieren, dass die Zahl derer, die „im falschen Körper“ stecken, keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale haben oder sich nicht klar zu ihrem biologischen Geschlecht bekennen können (oder wollen) recht gering ist. Aber dennoch bringt es mich zu einer wichtigen Frage: Was, wenn einer dieser Menschen morgen an unsere Türe klopft und um Zugang zur Loge bittet? Wie gehen wir dann damit um? Oder wenn es erst nach der Aufnahme auffällt? Oder sich ein Bruder für eine Geschlechtsangleichung zur Frau entscheidet?   Eine weitere Frage, die sich mir dann aufdrängt, ist die nach den Eigenschaften eines Mannes. Wenn das Geschlecht nicht immer so eindeutige Kategorien darstellt sondern bereits auf biologischer und identitärer Ebene so diffus ist, lässt sich dann vielleicht eine Art Punktekatalog erstellen, der etwas über die Zugehörigkeit zur Kategorie Mann aussagt? Oder mit den Worten des Bochumer Bardens Herbert Grönemeyers Worten gefragt: „Wann ist ein Mann ein Mann?“.  Welche Eigenschaften sollte der ideale Mann denn mitbringen? Ist er der alleinige Ernährer der Familie oder ist er Hausmann, der die Kinder hütet? Ist er stets gut gekleidet und achtet auf sein Äußeres oder ist er der mit dem Holzfällerhemd, der gerne in seiner Garage an Autos herumschraubt? Redet er gerne oder ist er wortkarg? Lebt er ein wildes Leben als Single wobei er nichts anbrennen lässt oder lebt er in einer festen Beziehung - vielleicht sogar mit einem anderen Mann?  All diesese Fragen eindeutig zu beantworten erscheint mir nicht möglich. Zumal sie immer wieder einem Wandel unterworfen sein werden. Das bedeutet, dass das was noch vor hundert Jahren als besonders männlich galt, heute schon wieder vergessen ist. Es scheint also auch unsere Umwelt etwas damit zu tun zu haben, was als männlich angesehen wird.  Genderforscher gehen größtenteils davon aus, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist. Grundsätzlich gehen sie davon aus, dass es zwei Komponenten gibt. Zum einen das biologische Geschlecht, das sie mit dem englischen Wort „Sex“ bezeichnen und das soziale Geschlecht, das sie „Gender“ nennen.   Doch wenn Geschlecht tatsächlich ein soziales Konstrukt ist, das auch schon schwer zu definieren ist - was geschieht dann mit dem biologischen Geschlecht, wenn auch das nicht immer von Eindeutigkeit geprägt ist?  Drehen wir uns dann bei der Geschlechterfrage nicht grundsätzlich im Kreis? Ist die Männlichkeit wirklich dem Untergang geweiht, wie uns einige Medien glauben machen wollen? Sind die Männer nun endgültig den Feministinnen zum Opfer gefallen? Brauchen wir eine Männerquote?   Oder ist es nicht vielleicht gerade dieser Versuch der zwanghaften Unterscheidung zwischen zwei Kategorien? Vor allem von zwei Kategorien, die ja anscheinend doch nicht immer so eindeutig zu sein scheinen. In unserer modernen Welt scheint mir diese Kategorisierung manchmal etwas überholt. Ist also vielleicht sogar eine Überwindung dieser Dichotomie an dieser Stelle angebracht? Und wenn ja, wie könnte sie funktionieren?  Ein Vorschlag zur Überwindung kommt von den Philosophen Thomas Vašek und Rebekka Reinhard. Sie plädieren für ein ethisches Geschlecht. Für sie beruht das ethische Geschlecht auf Werten. Es steht in einer Beziehung zum biologischen Körper und zu sozialen Normen, doch es lässt sich weder auf das eine, noch auf das andere reduzieren. Ein Wert wie beispielsweise Stärke mag dabei zufälligerweise aus einer als männlich anzusehenden Tradition entstanden sein, doch darf jeder Mensch entscheiden, ob ihm dieser Wert wichtig ist und danach streben ihn in seiner bestmöglichen Form zu leben. Diese Werte kann ich mir, zumindest in den gegebenen Rahmen, aussuchen. Ich kann für mich entscheiden, welche Werte mir zu einem guten Leben verhelfen und mein Sein danach ausrichten. Männer können dabei auch weibliche Werte haben – so wie Frauen männliche Werte -, und zwar in allen erdenklichen »Kombinationen«.  Das ethische Geschlecht ist nichts Statisches, keine fixe Konfiguration, die ein für allemal festgelegt wäre. Wir können unsere Werte verändern, die Gewichtungen verschieben, die Prioritäten verlagern. Das ethische Geschlecht ist dynamisch, es ist immer in Bewegung, es verändert sich je nach Lebenssituation.  Wenn wir sinnvoll über den modernen Mann nachdenken wollen, sollten wir die Gender-Debatte also neu beginnen – und statt über die »Männer-versus Frauen«- Differenz über die zwischen männlichen und weiblichen Werten reden. Wir können diese Differenz in ein Verhältnis setzen, wenn es uns gelingt, sie aus dem Korsett von Normen und Biologie zu befreien. Erst wenn männliche und weibliche Werte aufeinanderprallen, ohne dass es dabei um Macht und Unterwerfung ginge, kann die Geschlechterdifferenz ihre fruchtbare Wirkung entfalten – als Differenz zwischen Werten, nicht zwischen Männer und Frauen. Zwischen der »Kultur Mann« und der »Kultur Frau« gibt es wenig zu »vermitteln«. Was wir brauchen, das ist eine neue, eine »dritte Kultur«, welche die Differenzen nicht einebnet, sondern – um eines guten Lebens und gelingender Beziehungen willen – von eben diesen Differenzen lebt.  Wir stellen also fest: Die Einteilung in zwei einfache Kategorien scheint uns nicht weiterzubringen. Doch was bedeutet das für uns als Freimaurer?   Die drei großen Fragen, die ich heute angerissen habe und die ich gerne mit euch diskutieren möchte lauten zusammengefasst:  Wie gehen wir damit um, wenn sich uns Menschen anschließen wollen - oder bereits angeschlossen haben - bei denen die zwei klassischen Geschlechterkategorien nicht mehr greifen? Wie definieren wir für uns als Freimaurer die Frage nach dem was ein Mann denn ist? Können - und sollen - wir die Geschlechterfrage überwinden, welche Möglichkeiten haben wir dazu und welche Auswirkungen hätte das wiederum auf die Freimaurerei?