Öffentlicher Vortrags- und Diskussionsabend: "Europa"

 

Von Europa hört man viel.

Europa ist wichtig, stark und freiheitlich, aber manchmal doch überflüssig, klein und bevormundend. Je nach Lesart ändert sich das Vokabular und die damit einhergehende Zuschreibung.

 

Der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD trägt den Titel: „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Europa scheint für unsere Bundesregierung einen sehr großen Stellenwert zu haben. Die Briten hingegen sahen Europa schon immer etwas kritischer, was sich nicht zuletzt im Brexit ausdrückt. 

 

Bei all diesen verschiedenen Positionen, lohnt es daher einmal einen Blick auf dieses Europa zu werfen. Dafür werden wir uns zunächst den Ist-Zustand ansehen um am Ende gemeinsam zu überlegen, was Europa denn vielleicht werden könnte.

 

Beginnen wir also mit einer kleinen - und sicherlich nicht vollständigen Bestandsaufnahme - und stellen die Frage: Was ist Europa heute?

 

Die einfachste Antwort darauf lautet: Europa ist ein Erdteil.

Bleibt man jedoch weiter bei der geographischen Beschreibung, wird es schon etwas schwieriger. Denn Europa ist ein Erdteil, der sich über das westliche Fünftel der eurasischen Landmasse erstreckt. Obwohl dieser Erdteil geographisch gesehen ein Subkontinent ist, der mit Asien zusammen den gesamten Kontinent Eurasien bildet, wird es historisch und kulturell begründet meist als eigenständiger Kontinent betrachtet. Hier lässt sich bereits vermuten, dass sich hinter der Begriffen „historisch“ und „kulturell“ durchaus weitreichendere Aspekte verbergen, die Europa als ein komplexes Phänomen erscheinen lassen. Dies wird ebenfalls deutlich, versucht man eine natürliche Grenze zu finden, die Europa vom asiatischen Teil des Kontinents trennt. Denn es gibt keine völkerrechtliche Definition einer solchen Grenze. Heute folgt man bei der Grenzziehung zwischen Europa und Asien zwar üblicherweise weitgehend der Definition von Philip Johan von Strahlenberg aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dennoch existieren bis zu fünf andere Modelle der innereurasischen Grenze. Auch eine Ziehung von Grenzen unter kulturanthropologischen Gesichtspunkten ist nicht eindeutig, da sie sich auf das römisch-griechische und christliche Erbe bezieht und einen Teil der Länder wieder ausschließt, die geographisch zu Europa gehören würden. Ebenfalls ist eine sprachliche Trennung kaum möglich, da in diesem Gebiet von etwa 10 Millionen Quadratkilometern ca. 200 verschiedene Sprache und Dialekte gesprochen werden. Und selbst historisch gesehen gehen die europäischen Sprachen hauptsächlich auf zwei Sprachfamilien zurück - nämlich die indogermanischen Sprachen und die uralischen Sprachen.

 

Europa ist demnach vielfältig und voller unterschiedlichster Traditionen und Kulturen. Es ist ein riesiger Flickenteppich voller unterschiedlichster Länder, die sich immer wieder neu definiert und verändert haben. Auch der Blick in die Geschichte zeigt, dass Europa eine Idee ist, deren Grenzen jederzeit neu ausgehandelt worden sind und deren Vorstellungen immer wieder eine Rückschau auf nicht zwangsläufig real existierende Grenzen der Vergangenheit gestützt wurden.

 

In heutigen Europa leben derzeit etwa 700 Millionen Menschen in 46 souveränen Staaten. Die größten Metropolen in diesem weitläufigen und vielfältigen Gebiet sind Moskau mit 10,4 Millionen Einwohnern, London mit 7,4 Millionen und Istanbul mit 6,9 Millionen Einwohnern. Erst auf dem fünften Platz folgt Berlin mit etwa 3,6 Millionen Einwohnern.

 

Von diesen 46 Staaten haben sich mittlerweile 28 zur Europäischen Union zusammengetan. Häufig, wenn wir über Europa sprechen, sprechen wir von dieser Europäischen Union – wobei wir viele große europäische Staaten außer Acht lassen. Aber auch mit diesen 28 Staaten wird es kompliziert, eine Einheit zu beschreiben. Es sind 28 Staaten mit unterschiedlicher Geschichte, mit verschiedenen Stärken und Schwächen, mit divergierenden Interessen und einer Bevölkerung von insgesamt über 500 Millionen Menschen, die in 24 Amtssprachen (und vielen weiteren Sprachen) miteinander kommunizieren.

 

Dieser Staatenverbund prägt unser aller Leben nun bereits seit mehreren Jahrzehnten. Die EU bestimmt Verbraucherschutz- und Umweltrichtlinien, sie reguliert den europäischen Export sowie den Binnenmarkt und hat nicht zuletzt eine eigene Währung, die in 18 EU-Staaten verwendet wird.

 

Dem ehemaligen Leiter der Europäischen Akademie, Prof. Dr. Eckart Stratenschulte, zufolge ist die Europäische Union „die größte Erfolgsgeschichte des vergangenen Jahrhunderts“, denn alle ihre „ursprünglichen Ziele, die sich die Union bei ihrer Gründung gesteckt hatte, sind mittlerweile erfüllt: Der Frieden unter den Mitgliedstaaten ist gesichert, Europa ist wieder aufgebaut, der Kalte Krieg ist überwunden und die Teilung des Kontinents ist es im Wesentlichen auch“[1].

 

Das Erreichen dieser Ziele macht die EU nun eigentlich hinfällig. Und auch der riesige Bürokratieapparat mit den teils schwer verständlichen Funktionen und seinen langgezogenen Entscheidungsprozessen vermittelt bei manchem nicht gerade einen sympathischen Eindruck. Ebenso wenig wie die Beiträge, die die einzelnen Mitgliedsstaaten aufbringen und die solidarisch allen zugutekommen. Im Jahr 2016 zahlte Deutschland 21,28 Milliarden Euro ein. Damit führt Deutschland die Liste der Meistzahler an, dicht gefolgt von Frankreich. Sogar der Ausstiegs-Kandidat Großbritannien zahlte „nur“ 13,46 Miliarden Euro - immerhin eine Milliarde weniger als Italien.[2] Betrachtet man nun den Rückfluss im Vergleich zum Beitrag, ergibt sich für Deutschland ein Minus von 10,99 Milliarden Euro.[3]

 

Dieses Minus ist für viele ein Grund einen Schritt in Richtung „Weniger Europa“ machen zu wollen. Die Briten beschreiten diesen Weg bereits radikal und vollziehen den Austritt aus der Europäischen Union am 29. März 2019 um 23 Uhr britischer Zeit. Ein weiterer Grund dafür war ein sich ausbreitender Nationalpopulismus wie man ihn derzeit in vielen Ländern beobachten kann. Dieser hat seinen Ursprung auch in der Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. Doch der Weg zurück in den Nationalstaat bringt nur vermeintlich eine Lösung. Es hilft nämlich nichts, wenn ein nationales Parlament alles bestimmen, aber wegen der internationalen Rahmenbedingungen letztendlich nichts entscheiden kann. Die Festlegungen müssen nämlich auf der Ebene getroffen werden, auf der es überhaupt Handlungsmöglichkeiten gibt - und das ist der Nationalstaat oftmals schon nicht mehr, da gerade Unternehmen auf europäischer und internationaler Ebene agieren. Mehr Nationalstaat bedeutet auch immer weniger Internationalität auf wirtschaftlicher Ebene, was wiederum in einer globalisierten Welt Schwierigkeiten mit sich bringt.

 

Wo geht es also hin mit Europa du der Europäischen Union? Wo liegen ihre Aufgaben in der heutigen Welt? Welche Zukunft muss sie gestalten?

 

Die Europäische Union hat im 20. Jahrhundert erfolgreich den zwischenstaatlichen Frieden gesichert, sie steht jetzt in Zeiten der weltweiten Konkurrenz vor der Aufgabe, den sozialen Frieden zu gewährleisten. Meinungsumfragen zeigen, dass es die sozialen Probleme sind, die die Menschen in Europa zurzeit besonders beschäftigten. Tatsächlich öffnet sich – auch in reichen Ländern wie Deutschland – die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter. In den südlichen Mitgliedstaaten der EU gibt es Arbeitslosenzahlen von deutlich über 20 Prozent, und gerade für junge Leute sieht es oft noch schlimmer aus. Einer ganzen Generation droht die Zukunft abhanden zu kommen. Wie kann die EU hier Abhilfe schaffen?

 

In der Vergangenheit bestand der Erfolg der europäischen Integration vor allem darin, dass Grenzen abgebaut und hinderliche Regelungen abgeschafft wurden. So ist der größte Binnenmarkt der Welt entstanden, ein enormer Erfolg. Aber diejenigen, die auf diesem Markt nicht mehr benötigt werden, haben wenig davon, dass es im Supermarkt 200 Käsesorten aus ganz Europa gibt. Die „Europäisierung“ des Arbeitsmarktes schafft einen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, der Landesgrenzen bewusst ignoriert. Was kann die EU hier tun?

 

Dazu kommt: Die Europäische Union war immer auf das ganze Europa angelegt, das geht aus den Gründungsverträgen hervor. Die EU verhandelt immer mal wieder mit der Türkei, Serbien könnte 2020 beitreten und auch Montenegro ist ein Beitrittskandidat. Weitere Länder wie Albanien, Mazedonien, Bosnien und Heregowina sowie der Kosovo klopfen an die Tür. Welche Auswirkungen hat das auf den Arbeitsmarkt? Was bedeutet das auch für die Ost-Politik mit Russland? Was bedeutet das auch für die Integration?

 

Es sind viele Fragen, die sich die EU – und damit auch Europa – stellen lassen muss. Wirklich visionäre Antworten tauchen in der öffentlichen Debatte über Europa jedoch kaum auf. Meiner Meinung nach ein entscheidender Grund für dieses Desinteresse ist darin zu suchen, dass viele Menschen in Europa mehr eine Wirtschaftsgemeinschaft oder ein Bürokratiemonster sehen als eine Vision. Denn die Teilhabe an der Europäischen Union beschränkt sich auf die Teilnahme an den Wahlen für das Europäische Parlament. Und hierbei lag die Wahlbeteiligung 2014 bei gerade einmal 42,52% im europäischen Durchschnitt, woran sich Deutschland mit 47,9% beteiligte. Wer soll also eine Volksvertretung respektieren, die vom Volk selbst nicht ernst genommen wird? 

 

Ein starkes Europa im 21. Jahrhundert wird es nur geben, wenn die Bürgerinnen und Bürger das wollen. Man kann den Verdruss über zu viel Einmischung aus Brüssel und zu wenig Mitsprache in europäischen Angelegenheiten nicht einfach bürokratisch verschleifen - nach dem Motto: "Lass die Leute doch murren, wir machen einfach weiter!" 

 

Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union müssen sich nach den Erfolgen der EU in den letzten 60 Jahren neu darüber verständigen, was sie mit dieser Union anfangen wollen. Man könnte etwas überspitzt sagen: Die EU muss sich neu begründen. 

 

Jetzt geht es darum, neue Regelungen zu schaffen, die verhindern, dass ein Teil der Bevölkerung abgehängt wird. Die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten werden die Europäische Union auch daran messen, ob es ihr gelingt, diesen Trend umzukehren. Sie werden ihr dann allerdings auch die notwendigen Vollmachten geben müssen. Das verträgt sich schlecht mit dem Modell, der EU im Gegenteil Kompetenzen wieder zu entziehen. Für eines von beiden müssen die Mitgliedstaaten und ihre Bürger sich entscheiden. 

 

Damit stellt sich für die EU eine wirklich entscheidende Frage: Wie kann es gelingen, die Bürgerinnen und Bürger stärker an den Entscheidungsprozessen in Europa zu beteiligen und ihnen damit auch deutlicher das Gefühl zu geben, die Träger der europäischen Integration zu sein? 

 

Die Stärkung des Europäischen Parlaments, die durch den Lissabonner Vertrag erfolgte, ist sicherlich ein wesentlicher Schritt vorwärts, aber sie ist kein Allheilmittel – und schon gar nicht, wenn weniger als 50 Prozent der Bürger überhaupt an den Wahlen teilnehmen. Nur wenn es gelingt, "Europa" stärker in die nationalen Diskurse zu tragen, es zu einem wichtigen Diskussionspunkt auf der Agenda von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Bürgerinitiativen zu machen, wenn es möglich wird, Entscheidungen der europäischen Ebene nicht nur zu erfahren, wenn sie gefallen sind, sondern sie in ihrer Entstehung zu beeinflussen, wird das Europa der Bürger Wirklichkeit. Dieses neue europäische Demokratiemodell, das es noch zu entwickeln gilt, wird man sich als Mosaik vorstellen müssen, das aus vielen unterschiedlichen Teilen besteht. Es setzt aber ein stärkeres Engagement zu Hause voraus, das man auch wollen muss. 

 

Das soziale Europa, das offene Europa, das Europa der Bürger – das sind drei Schlagworte für den europäischen Zukunftsdiskurs. Dabei ist vieles noch nicht angesprochen, was ebenfalls eine Rolle spielt: Europas Anstrengungen zum Klimaschutz und seine Fähigkeit und Bereitschaft, die anderen großen Länder dieser Welt auf dem ökologischen Weg mitzunehmen; die Offenheit gegenüber Flüchtlingen und die Regelung der Migration, die viele nicht wollen, aber alle brauchen, wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen; der Schutz der Bürgerrechte in Zeiten der technisch möglichen Totalüberwachung; die Sicherung des Friedens außerhalb der Grenzen der Union – das sind nur einige Stichworte. 

 

Wie bereits angemerkt, kommen jedoch wenig visionäre Ideen für ein solches Europa der Zukunft. Es ist ein Thema an dem man sich im Wahlkampf auch gerne mal die Finger verbrennen kann.

Einer der wenigen, der sich dennoch vehement für ein stärkeres Europa einsetzt ist der französische Präsident Emmanuel Macron. Inwieweit seine Motive dafür ehrenhaft sind, möchte ich heute erst einmal Beiseite schieben und lieber den Fokus auf seine Ideen legen:

 

Macron will die Integration der Europäischen Union vertiefen. Derzeit sei die EU "zu langsam, zu schwach, zu ineffizient", sagte Macron an der Pariser Universität Sorbonne Ende letzten Jahres. Nur ein starkes Europa könne sich den Herausforderungen einer globalisierten Welt stellen. In welchen Politikbereichen er Reformen anstoßen will, hat Macron in einer Grundsatzrede vorgestellt.

 

Die nächsten Europawahlen sind 2019. Bis dahin will Macron, dass die Hälfte der EU-Abgeordneten über länderübergreifende Listen gewählt wird. "Wir müssen das europäische Projekt für die Menschen und mit den Menschen neu begründen", sagte er. Die EU-Kommission soll auf 15 Kommissare beschränkt werden – einer pro Mitgliedsstaat. Derzeit sind es noch 28.

 

Macron hofft, dass nach der Reform der EU auch Großbritannien in die Gemeinschaft zurückkehren könnte. In dieser neu ausgerichteten Union könne das Vereinigte Königreich, wenn es wolle, in einigen Jahren seinen Platz finden, sagte er. Grundsätzlich sprach sich Macron in seiner Rede für ein Europa aus, in dem manche Länder bei der Integration voranschreiten können, ohne dass alle anderen mitziehen müssen.

 

Mit Deutschland will Frankreichs Staatspräsident in Zukunft eine noch engere Partnerschaft eingehen. Vorstellbar sei, bis 2024 "unsere Märkte vollständig zu integrieren" – mit denselben Regeln für Unternehmen in Frankreich und Deutschland, sagte Macron.

Auch in Sachen Verteidigung hat Macron eine klare Vorstellung: Es solle ein europäisches Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Eingreiftruppe geben. Zu Beginn des kommenden Jahrzehnts soll sie einsatzbereit sein. Europa solle dann auch eine gemeinsame Verteidigungsstrategie besitzen. Die nationalen Armeen der Mitgliedstaaten sollten freiwillig Soldaten aus allen anderen europäischen Ländern aufnehmen.

 

Um Terrorismus in der EU besser zu bekämpfen, will Macron die Einrichtung der europäischen Staatsanwaltschaft vorantreiben. Geplant ist sie schon lang, die Umsetzung steht noch aus. Außerdem forderte er eine Geheimdienstakademie für die EU. Um die Staaten der Gemeinschaft besser gegen Naturkatastrophen wie Erdbeben und Waldbrände zu wappnen, schlug Macron einen gemeinsamen Katastrophenschutz vor.

 

In Bezug auf die Asylpolitik, schlägt Frankreichs Präsident eine europäische Asylbehörde vor um schneller über die Anträge von Flüchtlingen entscheiden zu können. Außerdem müssten die Einwanderungsgesetze harmonisiert und die EU-Außengrenzen besser geschützt werden. Dazu sei eine europäische Grenzpolizei notwendig. Um die Zuwanderung besser steuern zu können, solle es EU-weite Ausweise geben. Macron warnte jedoch auch vor den Gefahren eines zuwandererfeindlichen Nationalismus. Dieser verstoße gegen die Prinzipien eines gemeinsamen Europas, die aus der Tragödie zweier Weltkriege entstanden seien. "Wir dachten, die Vergangenheit kehre nicht zurück", sagte er. Doch isolationistische Einstellungen seien wieder aufgetaucht, "weil wir vergessen haben, Europa zu verteidigen".

 

Macron warb für einen neuen Anlauf für eine Finanztransaktionssteuer für alle EU-Mitglieder. Eine Finanztransaktionssteuer auf Börsengeschäfte war erst weltweit und dann 2013 auf gesamteuropäischer Ebene gescheitert. Die Einnahmen sollten für die Entwicklungshilfe verwendet werden.

 

Die Eurozone mit 19 Ländern solle ein eigenes Budget bekommen, forderte Macron. "Wir brauchen ein gestärktes Budget im Herzen von Europa, im Herzen der Eurozone", sagte er. Außerdem will er einen Eurozonen-Finanzminister unter demokratischer Kontrolle einsetzen. Man müsse auch darüber nachdenken, den Haushalt mit einer Steuer zu finanzieren. Er brachte dazu die Unternehmenssteuern ins Spiel, die in Europa angeglichen werden müssten. Bis zum nächsten EU-Budget 2020 sollten verpflichtende Unter- und Obergrenzen für die Körperschaftsteuersätze vorgelegt werden, sagte Macron. Länder, die sich daran nicht hielten, sollten keine EU-Strukturmittel erhalten, so der Franzose. "Man kann nicht von der europäischen Solidarität profitieren und gegen die anderen spielen."

 

Im Einsatz gegen den Klimawandel schlug Macron ein europäisches Förderprogramm für saubere Technologie bei Autos wie der Elektromobilität vor. Er will außerdem einen gemeinsamen europäischen Energiemarkt schaffen. Und um Forschung und Veränderungen wie die Digitalisierung zu begleiten, forderte Macron eine europäische Agentur für Innovationen. 

 

Der französische Staatschef sprach sich für eine schrittweise Annäherung der Sozialmodelle in Europa aus. Macron will außerdem einen "Sorbonne-Prozess" anstoßen. Bis 2024 will er 20 europäische Universitäten mit europäischen Abschlüssen schaffen. Bildung in den weiterführenden Schulen will er harmonisieren. Der französische Präsident forderte, bis 2024 sollten alle jungen Europäer eine andere europäische Sprache lernen und alle unter 25-Jährigen die Möglichkeit bekommen, ein halbes Jahr im europäischen Ausland zu studieren oder zu arbeiten. [4]

 

Macron zeichnet hier also ein Bild von einem geeinten und starken Europa. Ein Europa mit einer starken, aber kontrollierten Wirtschaft mit Innovationen in Sachen Umwelt und Technik sowie ein Europa der Bildung. Dieses Bild ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack, doch ist es ein – zumindest ein halbfertiges – Bild. Denkt man dieses Bild noch ein wenig weiter, könnte sich Europa eines Tages als ein föderaler Staat darstellen mit Regionen, die ihre lokalen Besonderheiten beibehalten und dennoch Teil eines großen Ganzen sind. Verdient dieses Europa dann nicht auch eine eigene Hauptstadt? Oder vielleicht ein „Europa in Europa“ – also ein Gebiet in dem Europa wirklich gelebt wird? Eine Art modellhafter Zwergenstaat mit mehreren Amtssprachen? Und wo bleibt die Identifikation mit Europa? Sollten wir in unserer Selbstbeschreibung nicht sagen, dass wir zunächst Europäer und dann Deutsche sind – ähnlich wie es der Titel des Koalitionsvertrages vorgibt?

 

Der französische Publizist Bernard-Henri Lévy kommentierte Europa mit den Worten: „kein Ort, sondern eine Idee“. Und damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Europa ist nicht einfach zu fassen. Die Grenzen von Europa liegen in den Köpfen der Menschen. Es fehlt dieser Idee derzeit ein wenig an Visionen. Visionen, die von den Bürgern der einzelnen Nationalstaaten entworfen werden können. Daher würde ich mich freuen, mit euch heute Abend eure Ideen zu Europa zu diskutieren. Gibt es bereits ein „zu viel“ von Europa oder sind euch die Ideen Macrons zu wenig Europa? Was ist für euch überhaupt Europa? Wie soll dieses Europa eurer Meinung nach einmal aussehen? 

 

 


Quellen:

[1] Stratenschulte, Eckart: Die Zukunft Europas, in: http://www.bpb.de/internationales/europa/europa-kontrovers/182478/einleitung (03.03.2018).

[2] Europäische Union: Nationale Beiträge der Mitgliedsstaaten zum Haushalt im Jahr 2016 (in Milliarden Euro), in: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/155196/umfrage/die-zehn-wichtigsten-beitragszahler-im-eu-haushalt-2010/ (03.03.2018)

[3] Operative Haushaltssalden der Mitgliedsstaaten im EU-Haushalt im Jahr 2016 (in Milliarden Euro), in: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38139/umfrage/nettozahler-und-nettoempfaengerlaender-in-der-eu/ (03.03.2018)